Das wilde Herz Albaniens
Susanne war viele Jahre Teil von Land Water Adventures als Guide für Wildwasser und Expeditionsstil, Tourentwicklerin, Ansprechpartnerin für Naturschutz, Expertin für Umwelt und Wildnis, sympathisches, wandelndes Naturlexikon stieg nie ohne Kaffee aus dem Zelt.
Er beugt sich tief hinab, um den Handpflug in die sonnengetrocknete, aufgerissene Erde zu drücken. Neben ihm im Ledergeschirr steht stoisch eine magere Kuh. Ein Hirte reitet gemächlich auf einem Esel vorbei. Es ist Mittag und unerbittlich brennt die hoch stehende Augustsonne am wolkenlosen Himmel auf den Bauern mit seinem Zugtier nieder. Über der Szenerie liegt zugleich eine bleierne Hitze und eine große Ruhe, eingehüllt in den nie abbrechenden, schabenden Klang der Zikaden. Im Hintergrund windet sich hinter hoch aufgetürmten gelben Heuhaufen ein leuchtend türkises Band durch das tief eingeschnittene Tal. Manche Eindrücke am Oberlauf der Vjosa hinterlassen unvermittelt das Gefühl, dass hier im Südosten Albaniens, unweit der griechischen Grenze, die Zeit stehen geblieben ist.
Save the Blue heart of Europe. Save Vjosa. Die Kampagne zur Rettung der Balkanflüsse vor dem übermäßigen Verbau mit Staudämmen hat auch das Ziel, diesen besonderen Fluss zum ersten Wildfluss-Nationalpark zu machen. Ein majestätischer Strom von 270 km Länge mit noch unverbautem Lauf, der frei mäandrierend von seinem Ursprung in Griechenland an der albanischen Küste in die Adria mündet. Es ist ein wilder Strom mit hoher Wasserqualität, wie es sie in Europa kaum noch gibt. Und doch ist auch die Vjosa von der Zerschneidung durch Staudämme zum Zweck der Energiegewinnung bedroht. Unterhalb der Stadt Tepelena wird mit Unterbrechungen seit 2007 an einem Kraftwerk gebaut. Die erzeugte Energie ist für den Export bestimmt. Die Proteste gegen den Staudammboom halten unvermindert an. Denn die Vjosa ist nicht nur ein Ökosystem von unschätzbarem Wert, sondern auch ein Stück weit kulturelles Erbe Albaniens.
Im März 2021 erschien ein neuer, dokumentarischer Kurzfilm „Vjosa Forever“, der von Patagonia produziert wurde und internationale Aufmerksamkeit auf das Projekt des ersten Wildfluss-Nationalparks Europas sowie die drohende Umweltzerstörung lenken möchte.
Die Vjosa hat ihn noch, den Charakter eines ungebändigten Flusses. Und der Gedanke, an diesem besonderen Ort mit einer Gruppe naturverbundener PackrafterInnen unterwegs zu sein, mit nachhaltigem Reisen vielleicht ein bisschen was zu seinem Erhalt beizutragen, mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen und durch das albanische Bergland zu wandern, hat immer mehr Gestalt angenommen. Gesagt getan, im August ging es auf Erkundungstour: Am Oberlauf der Vjosa angekommen, breitet sich vor mir eine Landschaft aus, wie sie malerischer kaum sein kann. Ja, dieser große Strom hat das Potential ein Nationalpark zu sein. Der erste Wildfluss-Nationalpark.
Schwer gepanzerte Käfer preschen geräuschvoll im Tiefflug durch die Luft, so dass man sich unvermittelt duckt. Im hohen Gras der Uferböschung hängt reglos und gut getarnt eine Gottesanbeterin, während Schwärme von Schwalben vergängliche Muster in den blauen Himmel zeichnen. Entlang der Vjosa scheint das Herz der Natur kräftig zu schlagen. Was vielleicht nicht vielen bekannt ist, auch in Albanien gilt eine Art Jedermannsrecht und man darf in der freien Natur biwakieren. Eine größere Einladung kann das Land Packraftern kaum aussprechen.
Selbst im August ist die Strömung der Vjosa stark und ihr klares Wasser ist kalt. Sie trägt in sich die lange Strecke von ihrer hochgelegenen Quelle im griechischen Pindosgebirge. Viele Passagen erfordern Konzentration, die Fähigkeit den Fluss zu lesen und den richtigen Paddelschlag vor dem nächsten Prallhang zu setzen, doch es gibt auch immer wieder Abschnitte, die dazu einladen, sich treiben zu lassen. Weiße Kiesbänke locken zwischen canyonartigen Steilwänden für eine Pause ans Ufer. Es ist eine Tour für wildwasseraffine Landschaftsgenießer.
In den zahlreichen kleinen Cafés am Straßenrand sitzen Männer jeden Alters und beobachten neugierig die Passanten. An einem Grill dreht ein Lamm am Spieß. Oder ist es eine Ziege? Beides wird traditionell mit einem frischen Salat aus Tomaten, Gurken und Zwiebeln serviert. Dazu gibt es albanisches Bier. Auch einige Weingüter säumen die fruchtbaren Flussterrassen und produzieren den ein oder anderen guten Tropfen. In einem kleinen Lebensmittelladen komme ich ins Gespräch mit dem Sohn der Ladenbesitzer, der inzwischen in England lebt. Er erzählt, dass nach dem Bau des Staudamms oberhalb der Lengarica-Klamm, einem Zufluss der Vjosa, weniger Fische geangelt werden als früher. Weiter erfahre ich einiges über die hartnäckige Korruption im Land, die Lücken im Bildungssystem und dass die Menschen nicht gelernt hätten, sich für so etwas wie den Schutz der Natur einzusetzen. Dass der Naturschutz noch in den Kinderschuhen steckt, zeigen auch die verstreuten Müllansammlungen am Rande der Dörfer. Jedes Hochwasser nimmt wieder einen Schwung mit flussabwärts. Plastikfetzen hoch oben in den Baumwipfeln am Ufer markieren beeindruckend mit welchen Pegeln man hier zu anderen Jahreszeiten rechnen kann.
Dass Plastik nichts in der Natur zu suchen hat, versuchen Beni und seine Frau Dona ihren Gästen mit auf den Weg zu geben. Sie betreiben mit Albturist einen kleinen, aber urig gemütlichen Campingplatz im Tal der Vjosa und bieten im Sommer Raftingtouren an. Mit viel Liebe fürs Detail gestaltet Dona Neues aus Liegengebliebenem und schafft mit ihrer herzlichen, gastfreundlichen Art einen Ort zum Wohlfühlen.
Ist die Sonne untergegangen, vertreibt ein angenehm kühler Windhauch die Hitze des Tages. Es weht immer ein Wind im Tal der Vjosa. Das Lagerfeuer knistert. Hungrig lecken die Flammen am ausgeblichenen Treibholz. Nur wenige Lichtpunkte verraten die versprengten Behausungen. Über das dünn besiedelte Tal spannt sich nachts in großem Bogen hell leuchtend die Milchstraße. Ein langgezogenes, kräftiges Heulen schallt vom bewaldeten, nachtschwarzen Berghang herab und durchbricht das nächtliche Zirpen der Grillen. Die Hunde in den umliegenden Siedlungen reagieren mit anhaltendem Bellen. Gut möglich, dass es ein Wolf ist, den sie vertreiben möchten. Die Vjosa verläuft südlich eines der größten Waldgebiete Albaniens, dem Nationalpark Hotova-Dangell.
Die Erkundungstour führt mich von der Vjosa aus weiter ins Landesinnere. Das bergige Hinterland, durch das nur wenige Straßen führen, von denen noch weniger asphaltiert sind, ist trocken und karg. Unermüdliche Schaf- und Ziegenherden drängen auf den Weideflächen das aufstrebende junge Grün zurück und legen die stummen Erben Enver Hoxhas frei, die unzähligen Betonbunker, die der kommunistische Autokrat in seinen letzten Jahren bauen ließ. Schatten spenden die Bergwälder aus Eichen, Kiefern und den, für die Gegend typischen, Pinien. Dort, wo sie in dichten Gruppen stehen, hängt ihr harziger Duft in der Luft und lädt zum Durchatmen ein.
Es ist diese besondere Mischung aus malerischen Landschaften, ungebändigten Flüssen, entlegenen Bergdörfern und gastfreundlichen Menschen, die den Südosten Albaniens zu einem unvergesslichen Erlebnis macht.
Auch in den Folgejahren werden wir wieder mit einer Gruppe von LWA TeilnehmerInnen auf Expeditionstour in Albanien unterwegs sein. Alle Informationen zur geplanten Durchführung gibt es auf der Ausschreibung hier.
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