Gefrorene Seen – Polarkreis Expeditionstour Packrafting Laponia 2018
Ich bin überrascht. Ich liege im T-Shirt in der Sonne, ein laues Lüftchen weht mir um die Nase. Neben mir liegt Peter, lesend und ähnlich leicht bekleidet, Ena und Jens laufen verträumt durch die wundervoll sanft anmutende Landschaft. Es ist der vorletzte Tag unserer Reise, die wir durch die nordische Wildnis führen, und alle sind positiv überrascht. Eigentlich war die gesamte Tour eine Folge von Überraschungen, aber diese fällt aus der Reihe.
Alles begann damit, dass Peter und ich in unserer Verantwortung als Tourguides einen Tag früher anreisten, um einige Besorgungen zu machen und um am nächsten Tag, nach Ankunft des ersten Fliegers, mit den damit anreisenden Teilnehmern in die Wildnis aufzubrechen. Die erste Überraschung war unser fehlendes Gepäck. Wir standen im strömenden Regen vor dem Lulea-Airport – ohne Gepäck! – und kein Mensch konnte uns sagen, wo es abgeblieben war. Stellt euch unsere Aufregung vor, die Sorge am nächsten Tag ohne Ausrüstung da zu stehen und den eintreffenden Teilnehmern zu vermitteln, dass die Tour möglicherweise nicht stattfinden kann. Dass das Flughafenpersonal ganz entspannt abwinkte und nichts weiter zu unserer Misere beizutragen hatte als ein lakonisches „It will be on the next plane“, war auch nicht gerade hilfreich.
Aber sie behielten Recht. Nach einer sorgenvollen Nacht sammelten wir Ena UND UNSER GEPÄCK aus dem ersten Flieger ein, holten Jens, der bereits am Vortag angekommen war, aus dem Hotel ab und fuhren mit einem schweigsamen Fahrer und bei überraschend gutem Wetter in Richtung unseres Zielgebietes – das UNESCO Welterbe Laponia. Nach ca 5 Stunden Fahrt durch die flachen und endlosen Nadelwälder Lapplands erblickten wir erstmals die teils schroffen, teils sanften Berge der Skanden und mit stetiger Annäherung an unseren Einstieg in diese letzte Wildnis Europas wuchs die Vorfreude bei allen Beteiligten.
Als wir so nahe heran gekommen waren, dass wir bereits Teile unserer Tour identifizieren konnten, offenbarte sich allerdings die nächste Überraschung. Die Berge waren Ende Juni noch zu einem Ausmaß mit Schnee bedeckt, wie wir es bisher nicht erlebt hatten. Peter und ich tauschten sorgenvolle Blicke – was, wenn manche Passagen der Tour noch unpassierbar wären?
Unsere Grübelei wurde jedoch von der Ankunft am Ziel und damit von unserer ersten kleinen Bootsfahrt unterbrochen. Wir zeigten Ena und Jens die Einstiegsstelle, von wo aus wir ein Stück See überqueren mussten, um an den Fuß des Berges zu gelangen, dessen Hochplateau unser Tagesziel sein sollte. Wir paddelten, packten, begannen unseren Anstieg und wurden auf dem Plateau von einem Wind überrascht, der uns fast wieder den Berg hinunter gedrückt hätte. Aber auch wenn das Fortkommen dadurch nicht leichter wurde, die Aussicht war atemberaubend. Hinter uns erstreckte sich bis zum Horizont der von Seen und Flüssen durchzogene, boreale Nadelwald und vor uns bäumten sich die schneebedeckten Berge Laponias auf. Wir suchten uns eine halbwegs windgeschützte Stelle am Hang, bauten unsere Zelte auf und verbrachten unsere erste taghelle Nacht in der Wildnis.
Am nächsten Morgen war der Wind nicht weniger geworden und sollte uns auch nahezu über die gesamte Tour begleiten. Nach dem Frühstück, das wir zusammengekuschelt hinter einem schützenden Fels verbrachten, brachen wir auf. Vor uns lag das immerhin schneefreie Plateau, an dessen Ende ein steil eingeschnittenes Kerbtal darauf wartete von uns durchquert zu werden. Aus der Ferne waren große Schneefelder auszumachen und nach wie vor begleitete mich und Peter die Sorge, dass wir auf unerwartete Hindernisse treffen würden. Je näher wir dem Tal kamen, desto rauer wurde die Landschaft. Wo vorher noch Gras und Moos den Boden bedeckten, ragten große Findlinge aus dem Boden. Überraschenderweise entpuppte sich der Schnee als hilfreich, denn er bedeckte zum Teil die überall auftauchenden Geröllfelder, deren Überquerung sonst höchste Konzentration erforderte. Langsam, aber stetig stieg das Tal an und nach einiger Anstrengung erreichten wir die kleine Hochebene, die an seinem Ende auf uns wartete. Spätestens hier packte uns alle das Gefühl mittendrin zu sein in dieser rauen und menschenleeren Gebirgslandschaft. Vor uns fiel der Hang steil ab und gab den Blick frei, auf ein tief eingeschnittenes und von hohen Gipfeln gesäumtes Flusstal, hinter uns glitzerte in der Ferne der See, den wir gestern überquert hatten. Der raue und kalte Wind lies kein längeres Verweilen zu. Nach etwa zwei Stunden mühsamer Hangquerung erreichten wir flacheres Terrain und bauten unsere Zelte zwischen den unzähligen kleinen Seen und Tümpeln auf.
Von unserem Zeltplatz hatten wir einen wunderbaren Blick auf den Ruonas, ein Berg wie ein riesiger Findling, dessen südliche Flanke sanft von einem Hochplateau aus ansteigt, während seine nördliche Flanke senkrecht in die Tiefe stürzt, bis sie den Boden des besagten Tals erreicht. Ihn wollten wir am nächsten Tag besteigen und taten es auch. Nachdem wir das Plateau erklommen hatten, warfen wir unser Gepäck hinter einen Fels und tanzten nahezu den Berg hinauf, glücklich das schwere Gewicht los zu sein. Das Panorama, das sich von hier oben bot, war eines der Eindrucksvollsten der Tour. Tief zu unseren Füßen mäanderte der Fluss durch ein grünes Tal und 360 Grad um uns herum ragte die unwirtliche Bergwelt in die Höhe. Wir hätten noch Stunden hier verbringen können, aber es lag noch ein gutes Stück Weg vor uns. Insbesondere die nächsten Kilometer waren für uns Guides spannend, denn bei unserer Erkundungstour tappten wir an dieser Stelle nahezu orientierungslos durch dichten Nebel. In der Erinnerung war der Weg hinunter ins Tal und der folgende Anstieg auf das nächste Plateau kraftraubend und schwer zu finden.
Aber – Überraschung – bei guter Sicht fanden wir die sanft absteigende Rinne, die wir bei der letzten Tour so lange gesucht hatten, auf Anhieb. Nachdem wir einige Zuläufe durchwatet hatten, sammelten wir Kräfte an dem sprudelnden und glasklaren Oberlauf des Flusses, den wir vom Ruonas aus im Tal mäandern gesehen hatten. Zu unserm Glück schien für einen kurzen Moment die Sonne, so dass wir zwischen kreisenden Seeadlern und Rentierherden, deren Jungtiere offensichtlich aus Spaß auf den Schneefeldern Pirouetten drehten, eine längere Pause einlegen konnten.
Die war auch nötig, denn vor uns lag der steilste Aufstieg der Tour. Ein gefühlt senkrechter und nasser Hang, den wir mit langsamen Schritten Stück für Stück bezwangen. Tagesziel sollte der erste See sein, den wir auch paddeln wollten. Er liegt in einem eng eingeschnittenen Tal zwischen hohen und zu diesem Zeitpunkt noch völlig mit Schnee bedeckten Bergen. Wir wanderten also über die grüne und von Bächen durchzogene Hochebene in einer Mischung aus Sonnenschein und kurzen Schauern. Je näher wir dem See kamen, desto felsiger wurde der Boden und desto stürmischer wurde der Wind. Jens und Peter waren mittlerweile ein ganzes Stück zurückgefallen, als Ena und ich den ersten Blick auf den See werfen konnten.
Und hier erwartete uns die nächste große Überraschung. Der See war noch vollkommen zugefroren. An eine Überquerung im Packraft war nicht zu denken, an eine Umwanderung nach dem kräftezehrenden Tag ebenso wenig und ein Zelt konnten wir in dem Geröll und bei der Windstärke auch nicht aufstellen. Wir liefen also ein gutes Stück zurück, bis wir einen Platz erreichten, der halbwegs windgeschützt und eben war, bauten unsere Zelte auf, kauerten uns zusammen hinter einen Stein um etwas zu essen und verschwanden in unseren Zelten. Der Wind in dieser Nacht war so heftig, dass sich mein Zeltgestänge zu einem S verbog.
Der nächste kalte und windige Morgen: Der See war also zugefroren. Sei´s drum. Die Boote blieben also einen weiteren Tag im Rucksack und wir umwanderten den See, an dessen Ende sich das Tal weiter verengt, bis zu einer relativ steil ansteigenden Klamm, in der ein Bach fließt, der den See speist. Zu seiner linken und rechten war die Fläche, die sich noch zum Gehen eignete, vollständig verschneit. Wir kämpften uns bei Wind und Regen durch die Schneefelder und erreichten den höchsten Punkt als plötzlich die Sonne aus den Wolken brach.
Es ist unglaublich, wie in dieser Gegend die Sonne darüber entscheidet, ob du dich im Auenland oder in Mordor befindest. Eine Landschaft, die dir noch vor Sekunden unwirtlich und lebensfeindlich erscheint, ist plötzlich der lieblichste Ort auf Erden. Wir pausierten, machten Fotos und blöde Witze und brachen auf zur letzten Etappe des heutigen Tages. Morgen sollten wir endlich unsere Packrafts zu Wasser lassen dürfen.
Der nächste Tag zeigte sich zunächst freundlich, doch je näher wir dem Sarek kamen, desto mehr verfinsterte sich der Himmel. Als wir den höchsten Punkt der Tagesetappe erreicht hatten, sahen wir, was Peter und ich ohnehin schon vermutet hatten. Die Gletscher des Sarek schienen das schlechte Wetter aus der gesamten Gegend anzuziehen.
Wie ein Topfdeckel lag eine dichte schwarze Wolke genau über dem Tal, in dem wir in den ersten Fluss steigen wollten. Man kann sich vorstellen, dass Aus- und Umziehen bei solchem Wetter keine attraktive Aussicht war. Dennoch, wir stiegen zum Fluss Alep ab und just in dem Augenblick, in dem wir unsere Rucksäcke abwarfen, kam die Sonne raus. In Windeseile sattelten wir unsere Boote und begannen die erste Etappe auf diesem völlig unberührten Wildnisfluss. Wir ließen uns treiben und genossen das Panorama, dann mussten wir wieder ein bisschen Gas geben, um durch die teils kräftigen Stromschnellen zu kommen, und hatten innerhalb kürzester Zeit eine Strecke zurück gelegt, für die wir zu Fuß locker einen halben Tag gebraucht hätten. Kurz vor dem Wasserfall, der in den deutlich tiefer gelegenen See herabfällt und der auch das Tor zum Sarek genannt wird, stiegen wir aus und bauten das bisher windgeschützteste Camp der Tour auf.
Am nächsten Tag sprangen wir direkt in unsere Paddelmontur, schulterten unsere Boote und umtrugen das kurze Stück Wasserfall, um dann direkt in den Milädnö einzusteigen. Einer der schönsten und unberührtesten Flüsse, die mir bekannt sind – Packrafting macht’s möglich. Bis zu dem Punkt, an dem sich Peter in einer ordentlichen Stromschnelle ein Loch ins Boot riss und wir auf einer Kiesbank notoperieren mussten, verging der Tag wie im Flug. Aber auch danach plätscherten wir dahin und hatten Spaß im regelmäßig wiederkehrenden Wildwasser, bis wir zu unserer Ausstiegsstelle kamen. Hier brachten wir auch unser erstes Feuer der Tour zustande und saßen noch lange in der nie untergehenden Abendsonne, beobachteten Rentiere bei Flussüberquerungen und quatschten.
Auch der nächste Tag begann vielversprechend. Für den Einstieg in den Ladejakka mussten wir noch etwa zwei Stunden durch typisch lappländisches Weidengestrüpp und Sumpf laufen, bis wir zielsicher unterhalb eines mächtigen Wasserfalls ankamen, wo wir die Boote wässerten. Im Laufe des Tages verschlechterte sich jedoch das Wetter und nach dem wir die zweite Kenterung an einer wuchtigen Stelle auf dem Tacho hatten war klar, dass wir den Fluss nicht bis zu seiner Mündung in den Viviaure, einen großen See, paddeln wollten. Wir suchten daher Unterschlupf in der ersten Wanderhütte der gesamten Tour, wärmten uns auf und wanderten im Regen zum ersten Mal auf einem Wanderweg. Unglaublich wie schnell man voran kommt, wenn der Weg nicht mehr gesucht werden muss.
Gegen Abend verbesserte sich das Wetter wieder und wir kampierten kurz oberhalb des Abflusses des Viviaure. Hier hatte der „See“ wieder Strömung und auch die letzte Paddeletappe unserer Tour ging mit Spaß und Geschwindigkeit vorüber.
Wir säuberten die Boote und stiegen um zwei Uhr nachmittags ein Stück den Hang rauf, als wir zu einer recht großen und mit Birken bestandenen Mulde kamen, die so geschützt und gemütlich aussah, dass wir uns entschlossen hier zu bleiben. Und hier liegen wir nun, im T-Shirt, genießen die Sonne und die wundervolle Landschaft um uns herum und sind überrascht, dass uns warm ist obwohl wir uns nicht bewegen und nicht alles anhaben, was wir mitgenommen haben. Das Feuer prasselt vor sich hin und es stellt sich die übliche Wehmut ein, die mich immer packt, wenn ich weiß, dass meine Zeit in dieser unberührten und einzigartigen Landschaft vorüber ist. Auch wenn Lappland nicht immer freundlich ist, manchmal unwirtlich und hart sein kann, besitzt es doch eine eigenartige Schönheit, wie ich sie nirgends sonst kennengelernt habe. Ich komme wieder – versprochen!
Jannis, Co-Leiter der Expeditionstour, Teilnehmer der Expedition Laponia von 2015, Wildnisführer, Biologe und selten ohne Fernglas zu sehen, mit dem er seiner Leidenschaft, der Ornothologie frönt. Mehr über Jannis gibt es hier.
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